Ratgeber

Dr. Sønke Burmeister

Stiftungen müssen Haltung zeigen und handeln

Über Wege der Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte wird viel gesprochen und kontrovers diskutiert. Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird diese Frage von zentraler Bedeutung sein.

Integration findet vor allem im täglichen Leben und Miteinander statt. In der Öffentlichkeit können wir noch so sehr über Willkommenskultur, Vielfalt oder offene Gesellschaft sprechen: Wenn Worte nicht im Zusammensein eingelöst werden, bleiben sie leere Phrasen. Dass der Prozess ein langer und steiniger sein kann, zeigen viele Beispiele auch der jüngeren Vergangenheit.



Gesellschaftliche Herausforderungen

In einer beschleunigten, zunehmend enthemmten Welt, deren Grundfesten demokratischen Beisammenseins durch populistische, rassistische Parolen und destruktive Kräfte bedrängt werden, sind Fragen der Zuwanderung, der Interkulturalität, der Fremdhaftigkeit, der Vielfalt oder der Offenheit ebensolche Reizthemen wie in vergangenen Zeiten Gleichberechtigung, Wiedervereinigung, Deutschland als Einwanderungsland oder Ökobewegung. Doch diese Fragen wurden mehr oder weniger gelöst.

Problematisch erscheint heute jedoch die Hilf- und Sprachlosigkeit, mit der auf eine Aggression, die alle gesellschaftlichen Normen verlässt, geantwortet wird. Nicht nur im politischen Raum, sondern auch im täglichen Mit­einan­der, das immer öfter durch Rohheit, Angst und Alltagsrassismus auffällt.

Von bürgerlicher Courage oder wehrhafter Demokratie kann kaum mehr die Rede sein. Stattdessen herrscht bei den politischen Klassen Angst vor der Quittung von Wählern, die in weiten Teilen nicht mehr einzuschätzen sind. Und so steht zu befürchten, dass sich Populismus und Rassismus im politischen wie im gesellschaftlichen Raum Bahn brechen.

Diese Gemengelage überfordert seit Jahren unsere Gesellschaft. Was nicht verwunderlich ist.


Haltung zeigen

Hinsichtlich der Integration von Zugewanderten, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Geflüchtetenhilfe, waren Gegenreaktionen tatsächlich schon früh befürchtet worden. Da nutzte es nichts, der Bevölkerung zu erklären, dass unser Land angesichts schwindender Einwohnerzahlen und notwendiger Arbeitskräfte Zuwanderung schon aus wirtschaftlichen Erwägungen und zwecks Erhalt der Sozialsysteme braucht. Stattdessen überwiegen nach wie vor Ängste, die durch Populisten, Rassisten und Opportunisten noch geschürt werden.

Und leider helfen Bildung oder allgemeine Erkenntnisse eben nicht. Denn Integration von Zugewanderten ist in aller Regel kein Problem der Bildung oder der Ratio, sondern ein emotionales Problem. Die Erkenntnis, dass wir im Einwanderungsland Deutschland Zuwanderung benötigen, zeigt kaum Wirkung hinsichtlich eines gesteigerten Verständnisses in großen Teilen der Bevölkerung.

Es bleiben also als Gegenmaßnahmen: Ängste abbauen, Begegnungen ermöglichen, Zusammenhalt stärken. Und: Haltung bewahren.

Handeln der Stiftungswelt

Eine interessante Reaktion auf gesellschaftliche Probleme: die Ausschreibung eines Förderprogramms, die Gründung einer gemeinsamen Initiative oder die Errichtung einer Stiftung. Was im Ergebnis heißt: Das Problem wird intellektuell erkannt, der Lösungsbeitrag ist ebenfalls eher intellektueller Art und wird durch Dritte umgesetzt – schmerzfrei sozusagen.

Auch hier kann man kritisch sagen: Haltung sieht anders aus. In Zeiten um sich greifender Ressentiments, von Rassismus, Demokratiemüdigkeit und -feindlichkeit wären öffentlichkeitswirksame gemeinsame Erklärungen und Statements zwar altmodisch, würden aber nach außen Haltung und Courage darstellen.

Viele Stiftungen enthalten sich solcher Positionierungen und pflegen eine gewisse Neutralität auch im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Fragen. Dies entspricht in den meisten Fällen der Intention der Stifterinnen und Stifter, denen es um einen Beitrag zur Lösung bestimmter Probleme geht.


„Stiftungen helfen! – Engagement für
Geflüchtete in Niedersachsen“

Mit ihren Förderungen unterstützen Stiftungen Integrationsprojekte aller Art und über alle Zwecke der Abgabenordnung: Bildungsprojekte, Begegnungen und Austausch, interkulturelle Feste oder integrative Sportveranstaltungen, Sprachbildung, kulturelle oder soziokulturelle Vorhaben, ehrenamtliches Engagement in der Geflüchtetenhilfe, Schulprojekte, Teilhabe- und Partizipationsprojekte, politische Bildung und Stärkung der Demokratie.

So haben etwa im Zuge der Flüchtlingskrise 2016 mehr als dreißig Stiftungen aus ganz Niedersachsen beschlossen, über alle Förderzwecke hinweg eine gemeinsame Aktion zur konkreten Unterstützung ehrenamtlicher Helfer ins Leben zu rufen: Die landesweite Initiative „Stiftungen helfen! – Engagement für Geflüchtete in Niedersachsen“, die finanziell und informell von einem breiten Netzwerk unterstützt wurde.

Das Ziel war so einfach wie effizient: Ausgaben im Zuge von ehrenamtlicher Arbeit mit Geflüchteten sollten unkompliziert und sehr schnell – von der Antragstellung bis zur Überweisung sollten maximal zehn Tage vergehen – erstattet werden. Damit sollte die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements, ohne das in dieser Zeit wesentliche Aufgaben gar nicht hätten erfüllt werden können, hervorgehoben und belohnt werden. Zumal zu dieser Zeit Ausgaben Ehrenamtlicher auf anderem Weg etwa über Kommunen aufgrund fehlender Gemeinnützigkeit nicht erstattet werden konnten.

Und die Initiative war immens erfolgreich: Mehr als 900 Projekte für Geflüchtete, die durch Ehrenamtliche umgesetzt wurden, konnten bis 2019 unterstützt werden. Fast 500.000 Euro wurden hierfür zur Verfügung gestellt. Rund 1.000 ehrenamtlich Engagierte haben damit mehr als 5.000 Geflüchteten beim Ankommen in Alltag und Gesellschaft in Niedersachsen helfen können. Stiftungen und Ehrenamtliche haben mit einer unkomplizierten und schnellen Hilfe einen signifikanten Beitrag bürgerschaftlichen Engagements in Niedersachsen leisten können.

Dr. Sønke Burmeister

1967 in Flensburg geboren. Studium der Kunstgeschichte, der Archäologie, der Bibliothekswissenschaft sowie der Betriebswirtschaft in Berlin, London und Kopenhagen. Promotion über „Plastik und Kunsthandwerk Emil Noldes“. Tätigkeiten als Kunstexperte in den Auktionshäusern Sotheby’s und Rippon Boswell in Berlin, Wiesbaden und London sowie Dozent an der Hochschule der Künste und der Freien Universität, Berlin. 1998–2003 Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen. 2003–2004 Bundesverband Deutscher Stiftungen, Berlin. 2004–2009 Referat Stiftungen, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Berlin. Seit 2009 Geschäftsführer der Niedersächsischen Lotto-Sport-Stiftung. Sønke Burmeister ist mehrfach zertifizierter Stiftungsmanager und Stiftungsberater sowie Gremienvertreter in verschiedenen Stiftungen und Vereinen. Er leitet zudem das bundesweite Forum Sport und Bewegung im Bundesverband Deutscher Stiftungen. Er hat verschiedene Publikationen in den Bereichen Kunst, Kultur sowie Stiftungs­wesen vorgelegt.